Foto: Denis Apel/CC BY-SA 3.0
Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum der Humboldt-Universität, Berlin
Architekt: Max Dudler (Zürich/Berlin)
Bauzeit: 2006-2009
Architekturen // Universitätsbibliothek
"Aber wir brauchen Platz, Freunde, viiiel Platz!"
Die Brüder Grimm verbrach- ten die letzten zwanzig Jahre ihres Lebens in Berlin. Das neue Zentrum enthält ihre Privatbibliothek.
"Da möchte man glatt noch mal Student sein!"
"Etwas Unpraktisches kann nie schön sein."
Kein Märchen aus Naturstein
Gebauter Protestantismus

Die Fassadenstützen des "kubischen Wissensspeichers" (Max
Dudler) sind aus gelblich gebändertem Jurakalkstein gefertigt,
dessen Farbton mit den Gebäuden im Zentrum Berlins korres-
pondieren soll. Das an den Steinoberflächen verwendete Wasser-
strahlverfahren hebt die natürliche Steinstruktur hervor. Doch
während diese Feinheiten nur dem Kenner auffallen, teilt sich der
Allgemeinheit eher die "geradezu gnadenlose rechtwinklige
Strenge" (Arnt Cobbers) des Neubaus mit. Diese Eigenschaft hat er
mit Gebäuden wie dem John F. Kennedy Haus am Hauptbahnhof
oder dem künftigen Archäologischen Zentrum am Petriplatz ge-       
mein. Die neue Berliner Architektur ist so protestantisch, dass   
sich selbst Luther die Augen reiben würde.
Für seinen Neubau der Zentralbibliothek der Humboldt-Universität
in Berlin erhielt der Architekt Max Dudler zahlreiche Auszeich-
nungen, u. a. den Deutschen Natursteinpreis. Laut der Jury des
Deutschen Naturwerkstein-Verbandes, der den Preis alle zwei Jahre
vergibt, überzeugt der Bibliotheksneubau "durch seine körperliche
Präsenz im Stadtraum. Die enorme Kubatur des Gebäudes wird
wohltuend strukturiert, geschichtet und gegliedert. Der Bau mit
seiner Wucht und zugleich Feingliedrigkeit wird nicht zuletzt  
durch die differenzierte Fassade aus Naturstein veredelt."
Otto Wagner, Wiener Jugendstil-Architekt
"Berlin ist schön..."
Erich Kästner in Pünktchen und Anton. Zeigt: Deutschlands größter Kinderbuchautor ist nicht unbe-grenzt aktuell. Daran trägt aber nicht er die Schuld, sondern sein Land.
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"Deutschland ist ein Rechtsstaat und keine Bananenrepublik. Wenn Leute investieren, dann ist es wichtig, dass man... sich darauf verlassen kann, dass es am Ende bei Vereinbarungen bleibt."
Praktische Nutzbarkeit und ästhetische Brillanz sollten in der Baukunst eigentlich Hand in Hand gehen, sonst ist es keine Baukunst. Gäste der neuen Bibliothek klagen jedoch im Netz über fehlen-den Platz, zu wenige und zu enge Garderobenfächer, unpraktische Treppen und Fahrstühle etc. Die Klagen stehen in auffälligem Gegensatz zu den vielen Auszeichnungen und dem positiven Presse-Echo auf    den Dudler-Bau. Dudler           gilt als Koryphäe der Bibliotheksarchitektur in Deutschland.
Architektur als Lebensqualität?

Der Schweizer Architekt plante bereits das Bewag-Haus am Gen-
darmenmarkt sowie den Neubau des Bundesbau- und Verkehrs-
ministeriums in der Invalidenstraße. Nach seinen Entwürfen
entsteht bis 2026 das neue Besucherzentrum des Bundesrats am
Leipziger Platz. Dudlers Credo lautet: "Die gebaute Umwelt be-
einflusst die Qualität unseres Lebens. So gesehen ist Architektur
nichts anderes als Lebensqualität." Leider scheint dies beim
Grimm-Zentrum - falls überhaupt - nur für die Hülle zu gelten.   
Je größer die Objekte sind, desto größer droht der Abstand zu den
Nutzern zu werden. Nichts vermittelt intensiver das Gefühl, etwas
aufzubauen, als zu bauen. Nichts vermittelt aber auch intensiver
das Gefühl, Mist zu bauen, als wenn falsch gebaut wird, sei es
wegen schlampiger Handwerker, ignoranter Architekten oder 
einer verfehlten Baupolitik.
Wer nicht aufpasst, fällt durchs Raster

Das Grimm-Zentrum der Humboldt-Universität bildet mit rund
zwei Millionen Bänden die größte Freihandbibliothek im deutsch-
sprachigen Raum. Spektakulär mutet das Herzstück des Zentrums
an, der 70 Meter lange, 20 Meter hohe und zwölf Meter breite
Lesesaal mit seinen getreppten Leseterrassen. Die streng sym-
metrischen Rasteröffnungen in der Decke und den Wänden des
Saals sollen an Bücherregale erinnern. Doch diese schlichte Sym-
bolik verführt den Architekten dazu, die "Rasteritis", für die er
bekannt ist, jetzt auch im Innern eines Gebäudes auf die Spitze zu
treiben*). Vielleicht hilft ja das Repetitive dieser Architektur beim
Lernen, denn auch Lernen ist repetitiv. Vielleicht wirkt es aber auch
einschläfernd und damit kontraproduktiv. Zu viel Rationalismus
schadet der Ratio - die Welt hört auf, eine (architektonische)
Herausforderung zu sein.
Coen van Oostrom, der holländische
Bauherr des East Side Tower, der   
jetzt Amazon-Turm heißt. Aber aller
Unberechenbarkeit zum Trotz balzt
das Kapital der Investoren um diese
Stadt - 15,8 Milliarden Euro flossen
2019 in den Bau von Immobilien in
Berlin, 50 % mehr als im Vorjahr, so
das Maklerhaus JLL. 24,4 Milliarden
Euro wurden gar in den Erwerb von
Bestandsbauten gesteckt, 37,3 % mehr
als 2018, so der Immobilien Verband
Deutschland. Dieser enorme Schluss-
akkord passt zu  einem Jahrzehnt, 
das, gerade auch in der Hauptstadt,
"im Zeichen der Immobilie stand"
(German Property Partners).
Jede Menge Löcher oder typisch Schweizer Käse: Rasterarchitektur ist eine Architektur der Ordnungsbesessenheit, die offenbar hervorragend zur deutschen Mentalität passt.                                                                                                                        
Unten |
Alles Banane? Nee.
Oder doch? Oder was?
Foto: Huuboa/CC BY-SA 3.0
"Ick bin ein durchtrie-benes Früchtchen!" Der Homo berlinensis
In Zukunft werde ich neue          Architektur nur noch dann aufnehmen, wenn sie den Praxistest bestanden hat. Auch die Reaktion der Nutzer muss positiv sein. Dafür muss ein Architekt auch mit ihnen reden und nicht nur mit Investoren oder Verwaltungen. Bauen sollte nutzerorientiert sein, ohne auf gestalterische Qua-lität zu verzichten. Doch der Spagat zwischen sozialer Verantwortung und Abhängig-keit von den Eliten gelingt Architekten oft nur schlecht; soziales Engagement wirkt aufgesetzt. Man darf zum Beispiel gespannt sein, ob einem Arno Brandlhuber     nach seinem hochgejubelten Berliner Galeriebau auch mal etwas mit einer Suppenküche gelingt. Der Vertreter einer widerspenstigen Architektur-     
"Guerilla" entwarf erst vor kurzem luxuriöse Wohn-türme am Alexanderplatz - der Duft der Fleischtöpfe war offenbar zu verlockend. Das Projekt wurde aber - zum Glück für Brandlhubers unbefleckten Ruf? - wieder abgeblasen.
Ein Beispiel für die politisch verfügte Anti-Architektur, die das Umfeld des Hauptbahnhofs
zur Nekropole macht, ist Jürgen Engels bleichgeripptes Bürohaus am Humboldthafen. Der
Neubau mit seinen steifen Kolonnaden sieht aus wie ein Hochsicherheitsknast für White-
Collar-Insassen. Selbst die mäandernde Form haucht dem petrifizierten Gebilde kein Leben
ein. Es ist eine Monade, abgeschottet von der Umgebung wie so viele Bauten des Quartiers,
die nur Einzelbauten sind. Dass der Architekt auch anders kann, zeigt sein fulminantes   
Projekt der Chinesischen Nationalbibliothek in Peking. Berlin hingegen erlaubt nur aus-
druckslose Architektur, aus Angst, dass sich im Ausdruck vergriffen wird. Berlin ist die
unsouveräne Hauptstadt eines unsouveränen, zutiefst verunsicherten Landes, das lieber
moralisch ist als mächtig, lieber entsagt als versagt. Die fehlende Souveränität schlägt    
sich in gouvernantenhafter Gängelei von Investoren und Planern nieder. Welche absurden
Volten diese Baupolitik schlägt, zeigt der geplante East Side Tower im Stadtteil Friedrichs-
hain: Der 400 Millionen Euro schwere Büroturm soll zwar von Kapitalisten gebaut und
genutzt werden, zugleich aber mit seiner Architektur ("wild und rau") und öffentlichen
Zugänglichkeit die linke Nachbarschaft entzücken. Er darf zwar als freistehender Solitär
physische Präsenz entfalten, muss aber zugleich so hässlich sein, dass er nicht zu heftig
angefeindet wird in einer Stadt, in der sich Exzellenzneid baupolitisch als Hochhaushass
tarnt. || Aktuell artikuliert sich dieser Hass in der Kritik des Kreuzberger Baustadtrates an dem Projekt -
obwohl der Bezirk schon die Baugenehmigung erteilt hat, und obwohl das Haus schon verkauft und     
an einen Ankermieter vermietet wurde, der dort tausende gut bezahlte Stellen schaffen will. Statt
vorzusorgen sorgen sich Berlins Politiker um die Reinheit der eigenen Gesinnung. Ist auch einfacher,  
denn moralisch sein kann heute jeder, für alles andere muss man sich anstrengen.
Selbstbewusstes Bauen, ästhetisch ambitioniert statt nur (klima-)politisch korrekt,
geschieht eher außerhalb des Fokus der Aufmerksamkeit, im gutbürgerlichen Charlot-
tenburg etwa, mit dem Ergänzungsbau der Gebauer-Höfe. Aber so wie sich Investoren
nach Brexit-England verzehren, weil es, trotz allem, das renommierteste Land Europas
ist, so verzehren sich Investoren nach Berlin, weil es, trotz allem, die renommierteste
Stadt Deutschlands ist. Beide können sich danebenbenehmen und bleiben doch
Everybody's Darling - der Bonus für alle, die eine größere Vergangenheit haben als
andere. Leistung macht sexy, dagegen vermögen Gesinnung und eine mit ihr verbün-
dete Ideologisierung von Emotion - Emotion als Waffe gegen "gefühlskalte" Gegner -
nichts auszurichten.
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                        
Von der himmelstürmenden Ikone (links) zum erdenschweren Trumm (rechts) oder: Was zu hoch hinaus will, wird gedeckelt. Der geplante East Side Tower an der Warschauer Brücke zeigt exemplarisch, wie ein ursprünglich gelungener Entwurf durch Änderungswünsche des Senats kaputt korrigiert wird. Die Last der vorgehängten, wie gläserne Dämmplatten wirkenden Fassadenteile zieht den auf "wild und rau" ge-trimmten Turm scheinbar nach unten. Hochhäuser in Berlin werden, weil sie die Macht des Kapitals verkörpern, gleichsam enteiert. Sie haben nur dann eine Chance, gebaut zu werden, wenn sie in mächtigen Sockeln verschwinden und von diesen in den Hintergrund gedrängt werden, wie der Signa- und Covivio-Turm am Alexanderplatz. Oder aufgeteilt sind in einzelne Volumen, deren Schichtung das Höhenwachstum optisch hemmt, wie der Hines- oder Monarchturm an demselben Platz. Ausgerechnet die Architektur ist in einer Stadt, die divers, diverser, am diversesten sein will, glattgebügelt und banal - wie das Denken, das dahintersteckt. Berlin haut einen nicht um, Berlin haut nicht hin, auch baupolitisch nicht. In der Stadt wimmelt es von Architekten, und doch ist sie kein Mekka für Architekturfans. Betrachtet man die Neubauten der letzten zwanzig Jahre, weiß man, warum.                                                                                               Visualisierungen: Bjarke Ingels                                                                                                                                                                                                                                                                                                       
 
*) Noch strenger, ja puritanischer als Rasterfassaden muten die heute ebenso beliebten
Schießschartenfassaden an. Lisenen aus Stein oder Metall verengen die Fenster zu Seh-
schlitzen, lassen die Gebäude vollverschleiert wie Frauen in einer Burka erscheinen. Die-  
ser unsinnliche Baustil passt zum moralistischen Zeitgeist des frühen 21. Jahrhunderts,      
dem, wie treffend bemerkt wurde, "der Anstand die höchste Form des Verstands" ist.    
Das neue Berlin ist voll von diesen Zombie-Bauten, die Blicke nicht anziehen, sondern      
abwehren wollen. Ging die Bebauung des Potsdamer Platzes in den 1990er-Jahren noch     
mit Kreativität und Vielfalt einher - die Gebäude von Helmut Jahn, von Richard Rogers! -
so prägt heutige Berliner Großprojekte wie die Europacity die kollektive Angst davor, aus
der Reihe zu tanzen - kein Mut zur runden Ecke, zum nicht-quadratischen Grundriss, zur     
skulpturalen Gestaltung. Glas ist, weil es zu "kalt" wirkt und darüber hinaus als klima-schädlich gilt, absolut tabu. Gläsern und skulptural, das klingt in Berliner Ohren wie
Sodom und Gomorra. Der Elan der Wiedervereinigung, der Politik, Bauherren und Archi-
tekten vor 25 Jahren noch couragiert, mit Lust an der Selbstdarstellung, auftreten ließ, ist
futsch. Stattdessen regieren jetzt Verzagtheit und die Beschränkung auf Flachdächer und
rechte Winkel. Die Senatsbaudirektorin fährt, getrieben von ihrem politischen Umfeld, 
einen kompromisslos egalitären Kurs: Jeder soll der Unscheinbarste sein, keiner darf
hervorstechen, wer auffällt, fällt durch - die deutsche Hauptstadt macht sich klein statt
fein. Regula Lüschers Schließfächer für Büroarbeiter beim Hauptbahnhof beerben Erich
Honeckers Schließfächer für Arbeiter in Marzahn. Mit der Europacity wollte Lüscher einen
Fußabdruck in der städtebaulichen Entwicklung Berlins hinterlassen. Doch verpasste sie   
ihr mit allzu biederen Bebauungsplänen eher einen Fußtritt, ließ ein ausdrucksloses
Arschhausen wachsen, und das trotz Masterplan und hochbaulichen Wettbewerben.
Im übrigen sieht das neue Berlin nicht wild und rau, sondern kreuzbrav und zu Tode
reguliert aus - eine Parade der Belanglosigkeiten, die nur den Kopf schütteln lässt.         
Das Prinzip "Krähenfüße statt roter Teppich", sprich die öffentliche Bevormundung    
von Investoren, raubt den Bevormundeten die Motivation und droht auch wirtschaftlich
kontraproduktiv zu sein. Denn, so Wolfgang Roeck vom Münchner Projektentwickler
Wöhr + Bauer: "Die Ausstrahlung der Architektur ist grundlegend für den langfristigen
Erfolg einer Immobilie." Die Phrase einer renditeorientierten "Investorenarchitektur"   
führt in die Irre: In Wahrheit sind es die den Investoren von der Politik auferlegten Be-   
gutachtungen durch das Baukollegium und die in Bebauungsplänen festgeschriebenen,
klientelgesteuerten Wünsche, die wegen ihres restriktiven Charakters jene Architektur   
des Mittelmaßes hervorbringen, die alle so erzürnt - manches Mal sogar die Politiker 
der Hauptstadt selbst. || Paradebeispiel für dieses unterwürfige Bauen ist die Vertriebszentrale
von Mercedes-Benz, die zwar ihren Stern behalten durfte, aber mit dem dunklen Alukleid wirkt, als
ginge sie in Sack und Asche. Oder Eike Beckers Spreeturm, der ursprünglich gedreht sein sollte, wie 
der Turning Torso in Malmö. Dann grätschte die Politik dazwischen, und jetzt steht der Turm gerade 
gerückt da und fällt so wenig auf wie der Rest der gebauten Hauptstadt. Die übermäßige Politi-
sierung des Bauens zieht Gebäude in härenem Gewand nach sich, die sich aus Angst, attackiert zu
werden, architektonisch totstellen, nicht sichtbar sein wollen - zu bestaunen vor allem in der Media
Spree, die, was das Bauniveau angeht, tatsächlich "versenkt" wurde. Linke Pressure Groups haben  die Stadt fester im Griff als alle in- und ausländischen Baulöwen zusammen; sie treiben die Politiker vor sich her, die die Investoren vor sich hertreiben (manche Politiker müssen gar nicht getrieben werden, weil es sie zu den Aktivisten treibt). Alles Problematische an Deutschland konzentriert sich    in seiner Hauptstadt, wie die Politik als Religionsersatz, der antikapitalistische Reflex, der nationale Minderwertigkeits- oder moralische Überlegenheitskomplex, der sich in der Lust zum Erziehen äußert und in der Lust, sich erziehen zu lassen - was sich massiv auch in der Architektur niederschlägt.